Donnerstag, 30. Juni 2016
Team Rechtsstaat
Das Landgericht Memmingen hat einen 62-Jährigen vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner Tochter freigesprochen. Das ist eine gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Es war das Wiederaufnahmeverfahren und der Mann hatte zuvor sieben Jahre zu Unrecht im Gefängnis gesessen.
Die damals etwa 13-jährige Tochter hatte den Mann seinerzeit zu Unrecht belastet. Gemerkt hat das offensichtlich niemand. Das ist ein Versagen des Rechtsstaates, für den der Rechtsstaat gerade stehen sollte.
Das jetzt aufgehobene Urteil stammt aus dem Jahr 1996. Das war eine Zeit, in der der Verfolgungswahn gegen angebliche Vergewaltiger auf seinem Höhepunkt war. Die sog. Wormser Prozesse waren noch in vollem Gange, bindende Anforderungen an die Glaubhaftigkeitsprüfung von Zeugenaussagen gab es nicht, angeblichen Geschädigten wurde häufig kritiklos geglaubt - insbesondere dann, wenn es sich um Kinder oder Frauen handelte.
Laut Wikipedia soll die Staatsanwaltschaft sich in den Wormser Prozessen darüber empört haben, dass die Verteidigung gemeint habe, "blindwütige Feministinnen wirken auf ahnungslose Kinder ein, bis die von Missbrauch berichten, und skrupellose Staatsanwältinnen übernehmen das". Aber es war genau so gewesen, wie die Verteidigung gesagt hatte. Blindwütige Feministinnen hatten auf unschuldige - und vor allem ungeschädigte - Kinder eingewirkt und die Staatsanwaltschaft hatte dies - zumindest ohne erkennbare Skrupel - übernommen. Das war ein schlimmer Fehler, der viele Existenzen nahezu zerstört hat.
Vieles ist seither besser geworden. Der BGH hat seit längerer Zeit verbindliche Kriterien aufgestellt, wann ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt zu werden hat, und die allermeisten Gerichte halten sich an diese Vorgaben. Belastende Aussagen von Zeug(inn)en werden heute meist deutlich kritischer gesehen.
Und jetzt kommt eine Bewegung, die möchte dieses Mehr an Rechtsstaatlichkeit, das - zumeist durch aktive Strafverteidigung - mühsam erkämpft wurde, wieder abschaffen. Wenn Sie nicht wissen, was ich meine, können Sie es bei twitter unter dem Hashtag #TeamGinaLisa nachlesen.
Dagegen sollten wir uns wehren, und zwar alle. Zum #TeamRechtsstaat sollte ein jeder gehören.
Montag, 27. Juni 2016
"Nein heißt nein" oder die Abschaffung der Unschuldsvermutung
Am Amtsgericht Berlin wird derzeit der aktuell wohl skurrilste Strafprozess überhaupt verhandelt. Vor dem Gebäude findet gleichzeitig eine Demonstration für die "Verschärfung des Sexualstrafrechts" statt; dort skandieren überwiegend weibliche Demonstrantinnen "Nein heißt nein". Zeit-Online bericht live von Prozess und Demonstration.
Mit dem Hashtag #neinheißtnein versucht ein selbsternanntes #teamginalisa über Twitter aktiv aber ohne nennenswerte Rechtskenntnisse, die "Verschärfung" des Sexualstrafrechts in ihrem Sinne voranzutreiben. Zu der Thematik hat sich der Vorsitzende Richter des Zweiten Strafsenats am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, in seiner Kolumne bereits sehr ausführlich geäußert; wer es gerne sehr ausführlich hat, der lese dort. Dieser Beitrag ist mehr für die Freunde der Kurzform.
Denkt man über die Phrase "Nein heißt nein" etwas nach, muss man sich wundern. Wörtlich genommen haben wir es nämlich mit einer Tautologie zu tun - einem Satz ohne jede eigene Aussage. Ein Apfel ist ein Apfel. Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist. Nein heißt nein.
Das spricht dafür, dass der Slogan für seine Nutzer eine über den bloßen Wortsinn hinausgehende Bedeutung zu haben scheint. Aber welche? Und warum wird sie uns nicht mitgeteilt?
Um der eigentlichen Bedeutung dieses einfachen Hauptsatzes näher zu kommen, hilft uns zunächst ein Blick auf die Situation, auf die er sich bezieht: Gemeint ist offenbar das "Nein" der Frau ("Opfer") zu dem vom Mann ("Täter") beabsichtigten Geschlechtsverkehr. Das ist nun aber gesetzlich seit langem recht eindeutig und abschließend geregelt: Wenn die Frau ("Opfer") nicht will, darf der Mann ("Täter") nicht. Das ist klar und unzweideutig. Da kann man auch nichts mehr verschärfen.
Das Problem ist regelmäßig ein anderes: Woher weiß man hinterher, wer wollte und wer nicht? Wem ist zu glauben, wenn sie sagt, sie habe nicht gewollt, er aber nichts davon gewusst haben will? Das ist eine reine Beweisfrage. Die Rechtsprechung nennt diese Situation (streng genommen nicht ganz zutreffend) Aussage-gegen-Aussage-Situation, und man muss in dieser Situation noch genauer als sowieso schon prüfen, wem von beiden (Frau ("Opfer") oder Mann ("Täter")) Glauben zu schenken ist.
Was hilft da ein "Nein" und von welcher Bedeutung ist, dass es "nein" heißt? Ist doch die Frage zumeist gar nicht dessen Bedeutung, sondern ob das "nein" gesagt wurde oder nicht. Dies ist die bedeutungsvollste und häufig auch einzige Beweisfrage und der eingangs zitierte Slogan hilft uns bei ihrer Beantwortung kein Stück weiter.
Das weckt im unbefangenen Betrachter den Verdacht, dass es den Damen, die da lauthals skandieren, gar nicht um die Bedeutung des Wortes "nein" geht - sondern um direkte Einflussnahme auf die Beantwortung der Frage, ob das Wort "nein" gefallen ist oder nicht. Nur die ist nämlich relevant.
Die Beantwortung dieser Beweisfrage hätten die schreienden Damen gerne in ihre Hände gelegt zur Beantwortung in ihrem Sinne: Die Beschuldigung durch eine Frau ("Opfer") hat von der Justiz ungeprüft übernommen zu werden. Liest man die zahlreichen Kommentare im Internet, bestätigt sich dieser Verdacht: Es geht gar nicht um das "nein"; es geht darum, dass einer Frau, die behauptet, "nein" gesagt zu haben, kritiklos geglaubt zu werden habe.
Damit möchte #teamginalisa aktiv in die Beweiswürdigung der Gerichte eingreifen und ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht abschaffen: Die Unschuldsvermutung. Zumindest für Männer. Zumindest, wenn eine Frau das will. Bei Gina Lisa selbst hat die Unschuldsvermutung hingegen selbstverständlich zu greifen, gerne auch etwas doller.
Das ist ein frontaler Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat, und wer mitskandiert, macht sich zum Büttel von Demagogen/innen.
Samstag, 11. Juni 2016
Kaputt
Das deutsche Sexualstrafrecht sei kaputt, schreibt @BastiMaas auf bento.
Ja. Nein. Irgendwie doch ja, aber nicht wie du denkst.
Erstmal: Schön, dass sich mal jemand für eine/n Täter/in interessiert und nicht immer nur den so genannten Opfern hinterherläuft. Denn das Interesse gilt Gina Lisa Lohfink - die nach der Einschätzung der Gerichte Täter/in ist, nicht Opfer. Auch, wenn ihr sie für das Opfer halten mögt. Da seht ihr mal, wie nahe das beieinander liegen kann.
Sonst seht ihr das nicht so. Sonst schlagt ihr auf jeden "Täter" wütend ein, mag der Nachweis seiner Schuld auch noch so brüchig sein. Hier habt ihr euch - zufällig? - mal auf die richtige Seite geschlagen.
Aber der Vorwurf gegen Gina Lisa Lohfink betraf Falsche Verdächtigung (§ 164 StGB), wenn ich das richtig gelesen habe. Das ist definitiv kein Sexualdelikt. Warum also soll deshalb das Sexualstrafrecht kaputt sein?
Natürlich, dahinter steht eine andere Geschichte, eine, die auch noch per Video dokumentiert wurde. Darauf soll eine Vergewaltigung zu sehen sein. Trotzdem wurden die dortigen "Täter" freigesprochen. Aus welchem Grund weiß ich leider nicht. Selbst der durchaus umfangreichen Presseberichterstattung habe ich das nicht eindeutig entnehmen können. Offenbar hat das Gericht Zweifel an deren Schuld gehabt.
Solche Zweifel sind gerade in Sexualstrafsachen allzu häufig angebracht, und allzu selten wird diesen Zweifeln ernsthaft nachgegangen. Selbst "Opfer"schutzorganisationen gehen mittlerweile davon aus, dass etwa die Anschuldigungen bei Sexualdelikten in etwa der Hälfte aller Fälle falsch seien. Trotzdem wird den "Opfern" noch immer viel zu häufig ungeprüft geglaubt und Erklärungen der "Täter" gar nicht erst ernsthaft zur Kenntnis genommen. Statt sachlicher Prüfung regiert der Grabenkampf der Klischees - die Frau als Opfer, der Mann als Täter.
Wenn das Sexualstrafrecht kaputt ist, dann deshalb, weil immer noch viel zu viele Menschen lieber ihren Vorurteilen und niederen Instinkten folgen, als einen Vorwurf sachlich zu prüfen. Ein schönes Plädoyer für die Sachlichkeit habe ich hier gefunden, übrigens von einer Frau geschrieben.
Es wäre schön, wenn diese Sachlichkeit gerade in Sexualstrafsachen endlich bei Gericht und Presse einkehren könnte. Aber das scheint mir in beiden Fällen noch ein weiter Weg zu sein.
Natürlich wäre es besonders bitter, wenn das ziterte Klischee (Frau = Opfer, Mann = Täter) gerade dort zutreffen sollte, wo ihm mal kein Glauben geschenkt wurde. Das wäre aber immer noch kein Grund, die kaum erlangte Contenance gleich wieder fahren zu lassen und in die alten unsinnigen Grabenkämpfe zu verfallen.