Mittwoch, 29. Oktober 2014
Taten ohne Grund
Bei einer im Ergebnis eher unspektakulären Strafverhandlung ist die Beweisaufnahme geschlossen und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beginnt ihren Schlussvortrag. Beweiswürdigung und rechtliche Einschätzung verlaufen eher schleppend, dann aber hebt sie an, um zu den Strafzumessungsgründen zu sprechen.
Für den Angeklagten spreche wenig, gegen den Angeklagten aber sei unbedingt strafschärfend zu werten, dass er die Tat ohne Grund begangen habe.
Nun sind die Strafzumessungsgründe derjenige Teil der Argumentation, der wie kein anderer von subjektiver Wertung geprägt wird. Die meisten Dinge kann man nämlich so oder so sehen. Wenn jemand aus Hass einen anderen schlägt, wirkt der Hass dann strafschärfend oder strafmildernd? Hat der Täter weniger Schuld auf sich geladen, weil er ja voller Hass war und seine Aktionen nicht hinreichend kontrollieren konnte, oder hat er mehr Schuld auf sich geladen, weil die Motivation seiner Tat zusätzlich zu missbilligen war? Das können sie argumentieren, wie sie wollen, heraus kommt immer das, was sie gerne hätten. Leider glauben die meisten die Staatsanwälte, ihre Meinung wäre die einzig denkbare.
Was aber ist , wenn jemand eine Tat ohne Grund begangen hat? Dann hätte die Staatsanwältin eine wissenschaftliche Sensation entdeckt und wäre reif für den Nobelpreis. Denn nichts geschieht ohne Grund ("nihil fit sine causa"). Diesen "Satz vom zureichenden Grunde" kannten schon die alten Griechen, die Staatsanwaltschaft kennt ihn offenbar nicht. Einen Grund wird es geben, die Staatsanwaltschaft kennt ihn vielleicht nur nicht. Dann müsste sie ihn suchen. Dazu scheint man aber keine Lust gehabt zu haben. Vielleicht ist der Grund auch unerheblich; warum aber erwähnt man ihn dann?
Das werden bestimmt wieder etliche Gemüter spitzfindig finden, aber das ist es nicht. Für die Rechtsfindung ist es essentiell, das man weiß, was man sagt und dies hinreichend begründet. Diese Staatsanwältin hat nichts davon getan. Entweder sie meint ihre Worte ernst, dann muss man sich davor fürchten, was sie vielleicht noch so alles meint - oder sie meint etwas völlig anderes, dann muss man sich fragen, warum sie das dann nicht sagt. Schlimm wäre beides.
Dienstag, 28. Oktober 2014
In Deutschland zuhause, fremd in der Welt
In Hamburg hat offenbar eine Rechtsanwältin damit geworben, dass sie auch Vertretungen in anderen - namentlich genannten - Städten übernehme. Das ist ein wertvoller Hinweis, könnte man meinen. Denn viele Mandanten sind immer noch der irrigen Ansicht, es gebe örtliche Beschränkungen bei Rechtsanwälten. Früher gab es die tatsächlich, aber das ist lange her. Zehn Jahre etwa.
Ein Kollege meinte aber, da würde mit einer Offensichtlichkeit geworben und hat die Kollegin abgemahnt. Außerdem erwecke sie den irrigen Eindruck, sie unterhalte in den genannten Städten eine Zweigniederlassung. Dieser Eindruck soll angeblich durch die Mitteilung entstanden sein, dass man auch Mandate aus diesen Städten annehme.
Das ist fern liegend, könnte man meinen. Anderer Ansicht: das Landgericht Hamburg. Das hat der Klage stattgegeben. Da staunt der Fachmann, der Laie wundert sich.
Gemeinschädlicher Tag
Neulich verteidigte ich einen bis dato unauffällig gebliebenen Jugendlichen, dem wurde ein Delikt vorgeworfen. Er sollte mittels eines dicken Filzschreibers der Marke "Edding" auf einem Spielplatz einige "tags" (verschnörkelte Zeichen einer örtlichen Jugendgang) an einer Rutsche und einer Bank angebracht haben. Die Polizei hatte ihn über facebook identifiziert.
Nun war das eigentlich ganz anders gewesen; der jugendliche Mandant hatte nur ein einziges Zeichen aufgebracht, und das auch nur, weil alle anderen das auch gemacht hatten. Wie das eben so ist. Die anderen hatten dann auf polizeiliche Befragung alle auf meinen jungen Mandanten gezeigt, obwohl der eigentlich gar nicht hatte mitmachen dürfen, in deren Verein. Wie das eben so ist.
Nach einigen Selbstzweifeln hatte der jugendliche Mandant seine Schandtat dann seinem Vater gebeichtet und der war mit Sohnemann und einem guten Lösungsmittel kurzerhand zum Tatort gefahren und hatte die "tags" entfernt. Alle. Auch die von den anderen.
Das hatte aber nichts mehr genutzt. Beflissene Ordnungshüter hatten bereits eine umfangreiche Lichtbilddokumentation gefertigt und betrieben eifrig ihr Verfahren wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung. In diesem Stadium hielt ich es für sinnvoll, der Ermittlungsbehörde den Sachverhalt mitzuteilen und ganz nebenbei auch darauf hinzuweisen, dass es für eine Sachbeschädigung nicht den leisesten Hinweis gab. Schließlich ist "Edding" mit einfachem Lösungsmittel rückstandsfrei entfernbar.
Die Rechtslage interessierte die Staatsanwaltschaft aber offenbar nicht im geringsten. Sie schickte gleich erst mal einen Trupp Polizeibeamte los nachzusehen, ob auch wirklich alle Zeichen entfernt worden seien. Dann vernahm man noch einige Personen aus dem Umfeld.
Schließlich, nach etwa einem halben Jahr, wurde das Verfahren nach § 45 JGG eingestellt. Und was lernen wir daraus? Man muss den Anfängen wehren. Sonst wäre aus dem Mandanten vielleicht ein zweiter OZ geworden. Oder - bei entsprechendem Talent - vielleicht ein zweiter Banksy.
Man würde sich manchmal wünschen, dass die Ermittlungsbehörden auch bei anderen Straftaten mit derartiger Akribie ermittelten. Aber hier hatten wir es ja nicht mit einer Straftat zu tun.
Freitag, 24. Oktober 2014
Diese gierigen Rechtsanwälte!
Von Rechtsanwälten heißt es ja öfters, sie würden das Recht verdrehen. Das es auch anders geht, beweist die SZ: Die verdreht in ihrem Beitrag über die Abrechnung eines Kollegen selbst das Recht nach Belieben.
Es geht - mal wieder - um die Honorarforderung eines Kollegen. Der Artikel eröffnet gleich mal mit der rhetorischen Frage, "welcher halbwegs normal denkende Mensch ... freiwillig für ein paar Stunden Durchschnittsarbeit 55.846,22 Euro" bezahle. "Skandal", soll da der doofe Durchschnittsleser denken, "diese Rechtsanwälte sind doch alles Halsabschneider".
Auch eine Richterin halte "die Honorarforderung für bedenklich" und wolle "nun die Rechtsanwaltskammer einschalten". Klingt dramatisch - soll es wohl auch - ist aber ein völlig normaler Vorgang: Ist vor Gericht die Angemessenheit eines Rechtsanwaltsvergütung im Streit, muss das Gericht ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer einholen, § 14 Abs. 2 RVG. Bis hierhin also ist alles ganz normal. Worum aber geht es jetzt in der Sache?
Ein Italiener hatte seinen deutschen Arbeitsvertrag als Geschäftsführer eines "weltweit agierenden Ingenieurdienstleisters" überprüfen lassen und sich über die Höhe der Rechnung gewundert. Sein neuer Rechtsanwalt hat die Rechnungssumme dann schnell mal auf Arbeitsstunden umgerechnet und ist dabei auf ein Stundensalär von EUR 5.500,00 gekommen. Verglichen mit dem, was Lady Gaga pro Stunde verdient, sind das Peanuts. "Darum geht es doch gar nicht", wird der geneigte Leser jetzt sagen, und er hat recht. Um die - fiktive - Stundenvergütung geht es wirklich nicht. Denn der Rechtsanwalt hat offenbar nach dem Gegenstandswert abgerechnet. Der dürfte bei einem zugrunde gelegten Gehalt von einer halben Million und einem Maserati als Dienstwagen durchaus korrekt berechnet sein.
Trotzdem eine Ungeheuerlichkeit, diese Abrechnung, findet die SZ, habe der Mandant doch einen Stundensatz von - durchaus moderaten - EUR 290,00 vereinbaren wollen. "Weiter hinten" habe der durchtriebene Rechtsanwalt dann aber "eine Passage" formuliert, derzufolge "der Mandant tatsächlich mindestens die doppelte Anwaltsgebühr bezahlen solle". In seiner Rechnung habe der Jurist "schließlich gar den 2,5fachen Gebührensatz, dazu noch eine 1,5fache Einigungsgebühr" verlangt. Vereinbart war also offenbar, dass die gesetzlichen Gebühren gelten sollen, wenn das Honorar diese nicht erreicht. Das ist üblich und der gesetzliche Regelfall. Der Mandant hat es obendrein unterschrieben.
Da hat sich dieses Schwein von Rechtsanwalt doch glatt ans Gesetz gehalten. Die 1,5fache Einigungsgebühr fällt bei Abschluss einer Einigung auf den - gesetzlich geregelten - Gegenstandswert an, § 13,14, Nr. 1000 VV RVG. Der 2,5fache Satz für die eigentliche Tätigkeit ist zugegebenermaßen die Höchstgebühr, bedenkt man aber, dass die Höhe der Rahmengebühr sich nach Bedeutung der Sache (es stand ein Arbeitsverhältnis im Raum), der rechtlichen Schwierigkeit (kenne ich nicht, der Vertrag wird aber nicht eben kurz gewesen sein), der tatsächlichen Schwierigkeit (der Mandant war Italiener und möglicherweise nicht ganz einfach) und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Mandanten (verdiente eine halbe Million im Jahr) richtet, könnte die Höchstgebühr sogar angemessen gewesen sein.
Erzählt uns das aber die SZ? Nein, die polemisiert bis zum Ende gegen den Rechtsanwalt, der einen armen italienischen Manager ausnimmt.
Joachim Wagner wird es gerne hören.
Donnerstag, 23. Oktober 2014
Die mit dem Rechtsstaat um die Ecke kommen
Die FAZ berichtet hier über die NPD und deren Prozessbevollmächtigten.
Ich will nicht sagen, dass einem beim Lesen übel würde, aber etwas unwohl ist mir schon. Nicht weil der Kollege die NPD vertritt und dabei manchmal gewinnt - das wird der Rechtsstaat wohl aushalten müssen.
Unwohl ist mir vielmehr wegen des Tonfalls des Artikels. Da schwingt auf vier Seiten unterschwellig mit, dass man die NPD nicht ernst nehmen könne und schon gar nicht einen Rechtsanwalt, der sie vertritt und auch noch Mitglied sei. "Wieso ist einer, der hochintelligent ist, bei einer rechtsextremen Partei?" fragt es gleich eingangs. Das ist eine rhetorische Frage. Die rhetorische Antwort lautet: Der muss irgendwie bescheuert sein. Unfreiwillig komisch heißt es weiter "Er hätte einen Haufen Geld verdienen können, Staatsanwalt oder Richter werden...". Da fragt man sich notgedrungen, ob die Elipse hinter dem Komma nähere Beschreibung oder Gegensatz sein soll. Lustig wäre beides.
Sogar Richter am Bundesverfassungsgericht hätte er werden können, heißt es, weil er wie Peter Müller aus dem Saarland komme. Na ja. Das wird als Qualifikation dann doch nicht ganz ausreichen. Aber hochintelligent ist er auch noch, wie gesagt. Also fragt man sich nochmal rhetorisch: "Warum macht er das?" "Die Welt hätte diesem jungen Saarländer offen gestanden."
Aber statt in der Welt ist der dumme Junge nur in der NPD. Der muss irgendwie bescheuert sein. Und siehe da: Sieht aus wie Muttis Liebling, Brille passt nicht, verwendet das Wort "Junggeselle" falsch - das sind laut FAZ die ersten Anzeichen dafür, dass mit dem Kollegen etwas nicht stimmen könne. Aber es kommt noch mehr: Etablissements mit lauter Musik meide er, niemand habe ihn je mit den anderen saufen gesehen.
Das ist also die Erklärung der FAZ: Wir haben es mit der Rache eines Außenseiters zu tun, der statt Amok zu laufen, in die NPD eingetreten ist. Deswegen ist "der Prädikatsjurist dem Staat verloren gegangen". Schon auf Seite 2 ist es raus: "Richter geht es also um Anerkennung." Wir haben es mit so einer Art Darth Vader der Jurisprudenz zu tun. Wenn nichts mehr helfe, komme er "mit seiner Allzweckwaffe, dem Rechtsstaat um die Ecke", in den Augen der FAZ offenbar so etwas wie das Lichtschwert der Jurisprudenz, das der dunklen Seite der Macht in die Hände gefallen ist.
Das Schlimmste an diesem Artikel ist, dass einem der Protagonist immer sympathischer wird, je länger man liest - einfach deshalb, weil die Darstellung einfach so tendenziös und dämlich ist.
Dienstag, 21. Oktober 2014
Rechtskenntnis kann bei Richtern nicht vorausgesetzt werden
Unwissen schützt vor Strafe nicht, heißt es. Eigentlich. Für die anderen. Für Richter scheint dieser Sinnspruch indes nicht zu gelten. Juristisch formuliert heißt das: "Rechtskenntnis darf einem Richter nicht unterstellt werden" - so der Leitsatz eines Beschlusses des OLG München, nach der Redaktion der StraFo. Ausgabe 10/2014, Seite 422.
Eingesandt und erwirkt hat diesen Beschluss des hochgeschätzte Kollege Strate aus Hamburg und es ging mal wieder um Gustl Mollath. Die Prozessgeschichte, soweit für den Leitsatz relevant, lässt sich in Kürze so zusammenfassen:
Der Kollege hatte für seinen Mandanten ein Klageerzwingungsverfahren betrieben gegen den Nürnberger Amtsrichter, der einst die Unterbringung seines Mandanten in der Psychiatrie angeordnet hatte sowie den Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Grund für die damalige Anordnung war der Umstand, dass der Mandant sich in einer laufenden Hauptverhandlung geweigert hatte, sich von einem Psychiater untersuchen zu lassen. Also hatte der Richter ihn mal eben zwangsweise einweisen lassen und der Leiter der Klinik hatte den Vollzug der Unterbringung zu verantworten.
Das war unstreitig rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einer Entscheidung aus dem Jahre 2001 festgestellt, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Beobachtung nicht erfolgen darf, wenn der Beschuldigte sich weigert, sie zuzulassen bzw. daran mitzuwirken.
Über diese Entscheidung hatten sich Amtsrichter und Klinikleiter hinweggesetzt. Das sah auch das OLG München in seinem zitierten Beschluss so. Aber deshalb ist das Verhalten des Amtsrichters noch lange keine Freiheitsberaubung, denn:
"Lediglich aus der vielfachen Veröffentlichung und Kommentierung dieser beiden Entscheidungen" könne noch nicht auf die Kenntnis dieser Entscheidung geschlossen werden. Deshalb entfalle im Zweifel der Vorsatz.
Anders formuliert: Nur weil das Recht irgendwo steht, muss man es ja nicht kennen, nicht einmal als Richter. Und wenn man es nicht kennt, muss man sich auch nicht daran halten. Danke, OLG München, für diese Rechtsausführungen. Ich hatte schon einen Moment gefürchtet, Richter, die das Recht brechen, könnten sich unter Umständen strafbar machen. Puh.
Es versteht sich natürlich von selbst, dass das nur für Richter gilt. Bei Menschen ohne juristische Ausbildung oder Kenntnisse ist das selbstverständlich anders: Die müssen genau wissen, was erlaubt und was verboten ist, sonst werden sie bestraft. Jede Unkenntnis wäre ein vermeidbarer Verbotsirrtum, von dem hier schon das ein oder andere Mal die Rede war, meistens im Zusammenhang mit Polizeibeamten. Alle anderen können ja ins Gesetz gucken.
Von Richtern kann man das laut OLG München nicht erwarten. Holleridudödeldi.
Dienstag, 14. Oktober 2014
Täter und Opfer
Der Handelsvertreter-Blog weist auf einen aufschlussreichen Artikel in der Welt hin, der mit der Frage eröffnet, ob Handelsvertreter Täter oder Opfer seien. Der Artikel ist lesenswert und beantwortet seine Titelfrage recht eindeutig: Handelsvertreter sind Täter UND Opfer.
Vieles deute auf einen "Systemfehler" hin, heißt es in der Kurzzusammenfassung. Und dieser Systemfehler lässt sich auch tabellarisch darstellen, nämlich so:
- Kapitalgesellschaften ködern - meist junge - Menschen, die als Freie Handelsvertreter für die Gesellschaft Geschäfte vermitteln sollen.
- Dabei wendet sich die Gesellschaft vorrangig an geschäftlich unerfahrene Männer ohne Berufsabschluss, vorrangig Schulabgänger und Studienabbrecher. Das ist Absicht.
- Diese Männer haben häufig ein hohes Geltungsbedürfnis, aber wenig Geld.
- Und sie wissen nicht, was ein Freier Handelsvertreter ist.
- Das steht zwar in dem Vertrag, den sie unterschreiben, aber den lesen sie nicht, und wenn sie ihn lesen, verstehen sie ihn nicht. Zu fragen trauen sie sich nicht; zu den Gründen dafür später.
- In dem Vertrag steht drin, dass Geschäftsabschlüsse zumeist erst Jahre später verprovisioniert werden. Im Vermittlersprech heißt das, er muss die Provision "ins Verdienen bringen". Das tut er, indem der Kunde möglichst nicht kündigt, stirbt, insolvent wird oder einfach so nicht mehr zahlt. Beeinflussen kann der Vertreter das in der Regel nicht wirklich.
- Das versteht der angehende Vermittler nicht, wenn er es denn überhaupt gelesen hat (vgl. Ziffer 5.)
- Damit der engagierte Vermittler zwischenzeitlich nicht verhungert und engagiert weiter vermittelt, erhält er von der Gesellschaft monatlich einen gar nicht ganz geringen Vorschuss.
- Den hat er noch nicht verdient, kriegt ihn aber trotzdem.
- Von dem Geld kauft sich der frisch gebackene Berater, Optimierer oder wie er sich sonst nennen mag, als Erstes ein als standesgemäß empfundenes Kraftfahrzeug, siehe Ziffer 3.
- Von dem Rest lebt er.
- Nach einem Jahr kommt die erste Abrechnung. Die geht noch, denn der fleißige Vermittler hat viel vermittelt und seine Kunden hatten noch wenig Zeit, zu kündigen, zu sterben , insolvent zu werden oder einfach so nicht zu zahlen. Die Vorschüsse, von denen er lebt, fließen weiter.
- Die Abrechnung des nächsten Jahres wird schon schlechter. Denn mittlerweile hat der Vermittler alle willigen Mitglieder seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft mit Versicherungen versorgt und sein Kundenstamm hatte ein weiteres Jahr Zeit, zu kündigen, zu sterben oder insolvent zu werden. Die Vorschüsse, von denen er lebt, fließen weiter.
- Das dritte Jahr wird katastrophal, denn jetzt sind auch die äußeren Ausläufer der Bekanntschaft abgegrast und die Kundschaft hatte ein weiteres Jahr Zeit - Sie wissen schon.
- Spätestens jetzt steht auf der Abrechnung eine vier- bis fünfstellige rote Zahl und der Vermittler fürchtet um seinen monatlichen Verdienst.
- Das ist aber gar kein Verdienst, sondern ein Vorschuss. Und den will die Gesellschaft jetzt zurück.
- Damit ist der Vermittler pleite - aber halt: Im Grunde ist er nicht jetzt pleite, er war es die ganze Zeit. Er wusste es nur nicht. Das kann er sich entweder eingestehen - dagegen spricht aber wieder Ziffer 3 - oder er kann anfangen, irgendwie zu tricksen. Das ist meistens strafbar und führt zu weiterem Ungemach.
Ob dieser Verlauf jetzt Dummheit des Vermittlers oder Bösartigkeit der Gesellschaft oder Bösartigkeit des Vermittlers ist, mag für das Ergebnis dahin stehen. Wahrscheinlich ist es alles zusammen. Vielleicht ist die Trennung in Täter und Opfer deshalb auch gar nicht so sinnvoll. Aber das ist eine andere Geschichte.
Kein Recht nirgends
Es war einmal in Kanada, da gab es eine Firma, die bot über das Internet Filme an, von denen einige auch kinderpornographische Inhalte enthielten, aber eben nicht alle. Weil das teilweise verboten ist, kam es zu einem "koordinierten Verfahren" der Toronto Police-Child Exploitation Section und dem United States Postal Inspection Service: dem "Project Spade". Dessen prominentester Betroffener bislang ist der Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy.
Im Rahmen dieses "koordinierten Verfahrens" wurden diverse Daten von Kunden ermittelt, die von dieser Firma Filme bezogen hatten, von denen einige vielleicht kinderpornographische Darstellungen enthalten haben könnten. Die Kundendaten wurden dann an das BKA weiter gegeben, das gegen diese Kunden flächendeckend Ermittlungsverfahren einleiteten.
In einem Verfahren, das ich bei mir führe, stellte die zuständige Staatsanwaltschaft fest, dass der Kunde lediglich einen einzigen Film bezogen hatte, der obendrein keinen strafrechtlich relevanten Inhalt hatte.
Aber dabei muss man es ja nicht bewenden lassen. Die Staatsanwaltschaft sandte die Akte gleichwohl an die Polizei mit der Bitte um verantwortliche Vernehmung des Beschuldigten, der ja gar keiner Straftat verdächtigt war. Gleichwohl bestehe "ein geringer Anfangsverdacht", woher auch immer der hergeleitet worden sein mag. Man weiß ja nie. Die Vernehmung solle daher als "eine Art Gefährderansprache" geführt werden. Die zaghafte Formulierung mag andeuten, dass dem Staatsanwalt dabei selbst nicht ganz wohl gewesen sein mag. Die Gefährderansprache ist ein - umstrittenes - Instrument aus dem Polizeirecht, dass ausschließlich der Prävention dient. Eine Anordnungsbefugnis der Staatsanwaltschaft besteht nicht.
Die verantwortliche Vernehmung als Gefährderansprache ist also in etwa so, als wenn der Pastor den Küster anweist, die Predigt am Sonntag als Polizist verkleidet zu halten.